Faszination Atacama, Salar, Wüstentäler, Lagunen, Vulkane, Geysire
Vier Tage in San Pedro de Atacama .
San Pedro de Atacama war Ausgangspunkt für unsere Bolivienreise und
diente uns auch zur Akklimatisation an die Höhe. Über diese Reise habe ich bereits einen Reisebericht (Der Traum vom bolivianischen Hochland) veröffentlicht.
Die Tage davor waren aber auch sehr erlebnisreich und berichtenswert.
Aus dem tiefen Süden Chiles bringt uns das Flugzeug über Santiago nach Norden in die Atacama. Der Kontrast ist gewaltig: Der Flugplatz Calama liegt in der trockensten Wüste der Welt. Keine Vegetation verhüllt die morphologischen Formen der Landschaft. Kein Grün kaschiert die tristen Arbeitersiedlungen Calamas, in denen die Minenarbeiter der Kupfermine Chuquicamata seit einigen Jahren wohnen, nachdem die Arbeitersiedlung am größten Loch der Welt wegen Staubbelastung aufgegeben worden ist.
Auf der Fahrt nach San Pedro de Atacama wird es rasch dunkel, vom Pass über die Cordillera de Domeyko erleben wir
nichts. Unser Kleinbus hält in einer engen Straße vor einem unscheinbaren Adobehaus - unserem Hotel für die nächsten Tage: Im Atacamastil gebaut mit viel Naturmaterialien und - farben stellt es
sich innen als gemütlich und recht komfortabel heraus.
San Pedro de Atacama auf 2443 m Höhe ist eine Flussoase am gleichnamigen Rio San Pedro. Schon vor 11 000 Jahren lebten hier Menschen (San Pedro - Kultur) vom Anbau von Mais, Reis, Bohnen, Feigen,
Baumwolle, Kürbissen und Kartoffeln und hielten Lamas und Alpakas.
Das vom belgischen Padre R.P. Gustavo Le Paige gegründete Museum zeigt recht anschaulich die wegen des trockenen Wüstenklimas gut erhaltenen archäologischen Funde (Keramiken, Schmuck, Textilien)
der Umgebung. Nur die von manchen Reiseveranstaltern immer noch versprochenen Mumien sucht man vergeblich. Touristische Schaulust verträgt sich nicht mit dem Respekt vor den Toten im Denken und
Fühlen der indigenen Bevölkerung der umliegenden Dörfer.
Die Atacamenos bauten drei Kilometer nördlich vom heutigen Zentrum im 12. Jahrhundert unter dem Einfluss der Tihuanako-Kultur die Festung Pukara Quitor. Sie zieht sich weit den Hang über dem
Flusstal hinauf und diente der damaligen Bevölkerung als Rückzugsort bei feindlichen Angriffen. Für kurze Zeit übernahmen die Inkas die Festung, bis Mitte des 16. Jahrhunderts die spanischen
Eroberer unter Diego de Almago und Pedro de Valdivia die Festung zerstörten. Wer, wie in manchen Reiseführern versprochen, eine Inkafestung erwartet, wird enttäuscht sein, denn die Baukunst der
Inkas ist nicht vergleichbar mit den doch primitiven Steinsetzungen der Atacamenos als Erbauer. Versöhnt wird man nach mühsamem Aufstieg von der herrlichen Aussicht auf die Flussoase und ihre
Bewässerungsanlagen.
An die spanische Kolonialzeit erinnert die Kirche (eine der ältesten in Chile) mit einem Dach aus Kaktusholz.
Heute ist San Pedro ein reiner Touristenort mit ca. 5000 Einwohnern. Man wähnt sich in einer Westernstadt mit einstöckigen Adobehäusern und Lehmstraßen, wären da nicht die kleinen Läden,
Souvenirshops, Restaurants und Agenturen, die vom mehrtägigen Trip nach Bolivien bis zur nächtlichen Astro-Show oder Sandboarding alles anbieten, und die meist jungen Backpackers, die die Straßen
bevölkern. Dieser Boom, begonnen in der Hippie-Zeit, spült Geld in die Kleinstadt. Jeder will davon profitieren, die Preise sind hoch, wenn auch oft die Leistung nicht stimmt. Ein einfaches
Gericht in einem einfachen Lokal ist teurer als ein gutes Essen im vornehmeren Hotel in Puntas Arenas. Man wird den Eindruck nicht los, dass der Tourismus die Kuh ist, die man melkt, aber nicht
füttert.
Wer auf der geteerten CH 23 südwärts fährt, erblickt am Horizont einen grünen Streifen, in den die Straße hineinzuführen scheint. Beim Näherkommen wächst das Erstaunen: ein Wald aus bis zu 20 m hohen Bäumen mitten in der Wüste. Es sind Tamarugos (Familie der Leguminosen, zu denen auch die Mimosen gehören), langsam wachsende, bis 15 Meter tief wurzelnde, an salziges und niedriges Grundwasser angepasste Bäume, die in vollariden ( 0 mm Jahresniederschlag ) tropischen Wüsten gedeihen. Ihre proteinhaltigen Früchte dienen als Viehfutter, ihr Holz zum Heizen.
38 Kilometer südlich San Pedro erreicht man Toconao. Kurz vor dem Ort überquert die Straße die Schlucht Quebrada de Jere; der kleine Fluss hat sich in die verfestigten Vulkantuffe (Liparit) der andinen Westkordillere eingeschnitten und liefert das Wasser für die ausgedehnten Gartenanlagen des Oasendorfs. Ein Spaziergang entlang der Schlucht zeigt das verzweigte Bewässerungssystem.
Zentrum und Sehenswürdigkeit des Ortes ist die Kirche mit dem freistehenden, weißen Glockenturm (1750) und der Tür aus Kaktusholz. Weiß sind auch die Häuser, die nicht aus Adobeziegeln wie in San Pedro, sondern aus dem weißen Tuffgestein gebaut sind. In vielen kleinen Läden werden handgearbeitete Souvernirs aus Alpakawolle, Kakteenholz und Tuffsteinen zu günstigeren Preisen als in San Pedro angeboten. Der Friedhof am südlichen Ortsende ist sicherlich einen Blick wert, besonders nach Allerheiligen, wenn alle Gräber mit bunten Papierblumen geschmückt sind.
Kurz hinter Toconao zweigt eine Naturstraße ab zum Salar de Atacama. Dieser auf 2300 m Höhe liegende Salzsee mit einer N-S-Ausdehnung von fast 100 km ist mit seinen 3000 Quadratkilometren Fläche der drittgrößte weltweit (nach dem Salar de Uyuni in Bolivien und dem Großen Salzsee in den USA). In ihm liegt einer der größten Bodenschätze Chiles: Lithium. Etwa 40% der gegenwärtigen Weltproduktion stammen von hier. Wasser wird in Becken gepumpt, in denen es verdunstet. Ausgefällt werden die gelösten Salze, die konzentrierte Sole mit dem wertvollen Lithium wird in Tankwagen nach Antofagasta zur weiteren Verarbeitung und zum Export transportiert.
Der zukünftig rapide wachsende Bedarf an Lithium (Batterien in Hybrid- und Elektroautos, Mobiltelefone, Laptops, i-Phones, Akkubohrer) wird eine Ausweitung des auf den südlichen Teil der Lagune konzentrierten Abbaus nach Norden nach sich ziehen und in der Folge das Naturreservat "Los Flamencos" in seiner Existenz bedrohen. Und dieses Reservat in der Laguna Chaxa im nördlichen Teil des Salars hat es in sich; ein Rundweg mit Schautafeln leitet den Besucher und vermittelt einen Eindruck von der Vielfalt des Lebens in dieser menschenfeindlichen Region: Flamingos, Nandus, Gänse, Enten in den feuchten Zonen, Lamas, Guanakos, Vikuñas und Alpakas in den Randgebieten.
Zurück zur Ch 23 und auf dieser ansteigend weiter nach Socaire, 98 km südlich von San Pedro und 3400 m hoch gelegen.
Wie von einem Balkon überblickt man von hier oben den Salar de Atacama. Ein besonderes Erlebnis wird für uns der überraschende Besuch in der Schule des Ortes. Schüler unterschiedlicher
Jahrgangsstufen sitzen zusammen in einem Klassenzimmer und üben gemeinsam ein Lied. Nach anfänglicher Zurückhaltung posieren doch einige vor unseren Kameras, zumal wir versprechen, ihnen Abzüge
der Bilder zu schicken. Mit einem Lied verabschieden sie uns.
Außerhalb des Ortes erkennen wir, wovon die Bevölkerung lebt: Landwirtschaft auf Terrassen der Westflanke der Kordillere mit Wasser, das in kunstvollen Kanälen aus der Höhe herantransportiert
wird, Lama- und Schafhaltung und neuerdings Arbeit im Lithiumabbau. Sehenswert das alte Kirchlein mit aus Ichu-Gras gedecktem Dach am Ortsrand.
Weiter steigt die Teerstraße an Richtung Sico-Pass. Nach 28 km zweigt eine Naturstraße nach links ab und bringt uns
hinauf auf 4200 Meter zu den beiden Lagunen Miscanti und Miniques, die überragt werden von den Vulkanen Miscanti (5622 m) und Miniques (5910m). Ein Lavaausbruch vor 1 Million Jahre teilte die
Lagune in ihre heutige Form. Bei einer kurzen Wanderung testen wir unsere Belastbarkeit unter dem Einfluss der Höhe, wollen wir doch noch für ein paar Tage auf den südbolivianischen
Altiplano.
Diese azurblauen Lagunenvor dem Hintergrund der majestätischen Vulkane, die mit Büschelgras bestandenen Hochweiden der Gemeinde Socaire und die Vikuñas vermitteln einen Vorgeschmack auf Bolivien.
Ein Picknick mit einem Glas Rotwein und den unvergesslichen Blick auf die Laguna Miniques ist der Höhepunkt des Tages.
Auf dem Rückweg bringt uns ein Andenfuchs zum Schmunzeln. Selbst als wir anhalten und aussteigen, lässt er sich nicht vertreiben, so, als warte er auf seinen Straßenzoll. Ein Apfel ist vom Picknick übrig und scheint ihm zu schmecken. Er trollt sich, um kurz darauf erneut zu betteln. Mit dieser Masche hat er sicher schon oft Erfolg gehabt.
Durch Erosion geformte Salz-Ton-Gips-Formationen im Valle de la Luna, die man "Las Tres Marias" (die drei Jungfrauen) nennt.
Westlich von San Pedro
erstreckt sich in N-S-Richtung die Cordillere de la Sal, ein etwa 300 m über die Ebene herausragender Gebirgszug, bestehend aus salz-und gipshaltigen Tonsedimenten unterschiedlicher Härte und
Dicke. Diese Ablagerungen bildeten sich unter ähnlichen klimatischen Bedingungen, wie sie im heutigen Salar de Atacama herrschen, vor Millionen von Jahren. Im Zuge der Subduktion (Abtauchen) der
pazifischen Platte unter die amerikanische Platte wurden sie aufgefaltet und durch Erosion zu der bizarren Landschaft umgestaltet, wie sie sich heute dem Besucher bietet. Phantasievoll auch die
Namen zu den einzelnen Teilen der nördlichen Kordillere, die den Touristen zugänglich sind: Valle da la Luna (Mondtal), Valle de la Muerte (Tal des Todes), Valle del Arco Iris (Regenbogental) und
Dinosauriertal. Letzteres erreicht man nach wenigen Kilometern westlich von San Pedro als erstes. Man fühlt sich erinnert an Erdpyramiden ohne Decksteine und an die Badlands in
Dakota.
Das Mondtal wird von den Touristen besonders abends besucht, lockt doch der Blick von der höchsten Düne bei Sonnenuntergang auf die sich immer mehr ins Rote verfärbende Westflanke des Vulkans Licancabur.
Die unwegsame Straße ins Tal des Todes eröffnet an ihrem Ende dramatische Einblicke in eine Landschaft von steilstehenden Schichtrippen, umrahmt von zu Dünen aufgewehtem Sand.
Etwas abgelegener und wesentlich weniger besucht, aber in seiner Schönheit eher noch großartiger ist das Tal des
Regenbogens. Auf dem Weg dahin betrachtet man die Petroglyphen "Hierbas Buenas". Die über 1000 Steinritzungen der alten Atacamenos mit Lamas, Nandus u.a. geben Einblicke in das Leben der
damaligen Hirten.
Die Naturstraße führt dann steil hinunter in das Tal des Rio Grande, der seinen Namen wohl aus besseren, sprich niederschlagsreicheren Tagen haben muss. Die landwirtschaftliche Nutzung der
Taloase ist aufgegeben, ein paar halbwilde Esel erinnern an Zeiten, als Menschen hier lebten; ihre zahlreichen Gerippe verdeutlichen die fehlende klimatische Anpassung des Esels; vielleicht hatte
auch der Puma seine Krallen im Spiel.
Wir erreichen den Totem für Pachamama (heute ein mit Papierblumen geschmücktes Kreuz), den wir dreimal umrunden, um die Erdmutter gnädig zu stimmen für unser Eindringen in ihr Wunderland.
"Kathedrale" heißt eine Wand aus senkrechten Säulen und bunten Farben, wohl ein anschaulicher Versuch des Menschen seinem Staunen einen angemessenen Namen zu geben. Und so streift man durch das
Tal und weiß nicht, wohin man zuerst schauen soll, selbst der Boden mit seltenen Mineralien zieht den Blick auf sich.
Heute heißt es früh (gegen 4 Uhr) aufstehen. El Tatio steht auf dem Programm, das höchstgelegene (4300 m)
Geothermalfeld, das größte der Südhemisphäre, das drittgrößte der Welt. Solche Superlative machen neugierig. Warme Kleidung ist angesagt, herrschen doch in dieser Höhe am frühen Morgen
Temperaturen um -15°C. Eine lange Anfahrt über holprige Naturstraßen bringen uns in 2 Stunden ca. 90 km nordwärts auf die Höhe. Das etwa 30 km² große Feld umfasst Fumarolen, Solfataren, heiße
Quellen, Geysire, Schlammvulkane und weitläufige Sinterterrassen, gespeist durch den aktiven Vulkan El Taito (5208 m). In dieser Höhe erreicht das Wasser schon bei 80°C seinen Siedepunkt. Kühlt
dieses Wasser bei Austritt aus Löchern und Spalten im Boden ab, kommt es zur Ausfällung von Silica und Kalk aus übersättigter Lösung in Form von Terrassen und Schloten. Und so dampft und
sprudelt, blubbert und stinkt es rings um uns, als wir vorsichtigen Schritts im kalten Morgengrauen durch das Thermalfeld wandern, ständig auf der Hut, nicht mit dem heißen Wasser in Berührung zu
kommen, obwohl wir etwas Wärme brauchen könnten.
Aber das ändert sich schlagartig mit dem späten Aufgang der Sonne; es wird warm, und wie von Geisterhand fallen die Dampfschwaden langsam in sich zusammen. Die Wärme der Luft lässt den Dampf
kondensieren, und das Spektakel ist vorbei.
Während die meisten Touristen in ihre Fahrzeuge einsteigen und verschwinden, nehmen wir unser Frühstück ein mit im heißen Thermalwasser gekochten Eiern, heißem Kakao, erwärmt mit heißen Quellen,
Kaffee und Kuchen. Bei Tageslicht erkennt man nun auch eine verrostete Maschine und Rohre, die mitten im Thermalfeld liegen, Reste der mehrfachen Versuche zur wirtschaftlichen Nutzung der
Geothermie (für 2012 geplantes Kraftwerk), die am Widerstand der lokalen Bevölkerung scheiterten; befürchtet man doch eine Schwächung des Thermalfeldes und damit das Ausbleiben der
Touristen.
Auf dem Rückweg nach San Pedro sollte man in dem Dörfchen Machuca Station machen. Die kleine Kirche ist sehenswert, und die Lamaspießchen und das Fladenbrot, das einheimische Frauen anbieten, sind nach dem kalten Morgen wie ein zweites Frühstück.
Die Yareta, eine langsam wachsende holzartige Pflanze, gedeiht in Höhen über 4000 Meter und wird von den Atacamenos als Heizmaterial verwendet.
In etwas tieferen Lagen überziehen Kakteen (Echinopsis atacamensis) die steinigen Hänge in einer weitgehend
vegetationslosen Gegend.
Kurz vor San Pedro erinnert uns ein einzeln stehender Pfefferbaum ( Schinus molle) daran, dass wir uns wieder der Zivilisation nähern.
Die Besichtigung der Kupfermine Chuquicamata am letzten Tag wirkt wie ein harter Schnitt, wirft uns zurück in die Wirklichkeit, in der der Mensch die Schönheit einer weitgehend unberührten Landschaft, wie wir sie in San Pedro erlebt haben, zerstört. Es ist zwar der gleiche Staub, der über der Mine liegt und den uns der Abendwind im Valle de la Luna ins Gesicht weht, und dennoch ist es ein anderer.....